Was bedeutet Disziplin im Kontext BDSM?

Disziplin ist gegeben, wenn Regeln nicht nur vorhanden sind, sondern auch wirklich Geltung finden, also anerkannt und auch befolgt werden. Disziplin bedeutet demnach schlichtweg Unterordnung. Wem oder was ordnet sich jemand unter? Im Falle der Disziplin einem Regelwerk, nicht einem Menschen, selbst wenn dieser Mensch das Regelwerk erstellt und ändert. Im Begriff der Disziplin liegt damit bereits das Element der Selbstdisziplin, also der Freiwilligkeit. Bei der Disziplin geht es darum, seinen eigenen Körper und Geist zu kontrollieren, es ist also ein Spiel mit den eigenen Grenzen. Kann ich mich unterordnen, kann ich etwas ertragen, habe ich mich so weit unter Kontrolle, mich eben nicht von meinen eigenen anderen Impulsen leiten zu lassen, sondern gebe ich alles, um das gesteckte Ziel zu erreichen? Disziplin ist daher der Kampf mit sich selbst und auch wenn es auf den ersten Blick nach einer Unterwerfung unter eine andere Person klingt, ist es daher etwas ganz anderes. Disziplin, zumindest nach einem modernen Ansatz, zu dem ich gleich komme, erfordert keine Schwäche, sondern ganz im Gegenteil sie benötigt Stärke. Viele BDSMler sprechen bei dem devoten Part auch gerne von dem Passiven oder dem Empfangenden, das mag in allen anderen Bereichen stimmen, im Bereich der Disziplin ist diese Einordnung aber mitunter fehlerhaft.

Ein Mittel, die Disziplin zu erneuern oder aufrechtzuerhalten, ist die Disziplinierung. Sie kann nötig werden, wenn es einen Verstoß gegen die Regeln gab, oder wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass jemand nicht mehr so sehr wie nötig auf das Ziel fokussiert ist. Versagen im Kontext der Disziplin ist nur möglich, wenn jemand eben keine 100% gegeben hat, also nicht tat, was ihm möglich gewesen wäre.

Die Stellung des dominanten Parts im Kontext der Disziplin und Disziplinierung ist nicht einfach. Zuerst einmal wäre die Frage zu stellen, inwieweit er selbst diszipliniert sein muss. Der dominante Part stellt, abgesehen natürlich von den Tabus, die Regeln auf, denen sich der devote Part unterwirft. Hat er die Pflicht, diese zu überwachen und bei (absehbaren) Verstößen (in der Zukunft pro-) aktiv einzuschreiten? Wieder eine gute Frage.

Für mich gibt es zwei Bilder von Disziplin. Früher lebte der Mensch in starren Hierarchien, inzwischen sind wir in einer entwickelten westlichen Demokratie angekommen. In dieser dürfte der Leitspruch sein: So viel Freiheit wie möglich, so viel Disziplin wie nötig. Vor der Demokratie wurde Disziplin viel stärker eingefordert. Somit ist auch das Bild von Disziplin eines, das sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Auf der einen Seite haben wir jene, die Disziplin als nötiges Mittel erachten, auf der anderen jene, die sie als Tugend sehen. Zudem wurde früher die Unterordnung als Idealtypus der Disziplin angesehen, heute ist dies eher die Selbstdisziplin. Ich denke, sehr viel hängt bei der Einordnung von der Grundeinstellung zur Disziplin ab.

Wer eher zu den alten Werten tendiert, für den obliegt ein Großteil der Verantwortung für die Disziplin dem dominanten Part. Es geht hierbei um die Überwachung der Einhaltung und die Sanktion von Verstößen. Wer hingegen die Selbstdisziplin in den Vordergrund stellt, bei dem kann der dominante Part den devoten lediglich aktiv bei der Einhaltung unterstützen.

Moderner Ansatz
Es ist viel leichter Disziplin zu beweisen, wenn diese aktiv eingefordert wird und die Motivation stimmt, als wenn gar kein Input von außen kommt. Ein Dom kann also fordern und fördern, Nachhaltigkeit wird aber nur erreicht, wenn Sub selbst den Wunsch hat, diszipliniert zu sein. Dies wäre auch im Sinne der der modernen Pädagogik. Nach ihr soll durch Fremderziehung ein Individuum dazu befähigt werden, sich selbst zu erziehen und ganz in der Tradition von Kant, der unter anderem dazu aufrief, sich selbst seines Verstandes zu bedienen.

Viele sagen über BDSM, dass dieses sie in ihrem Leben voran gebracht hat. Ich denke, etwas auszuleben, das vielleicht vorher unterdrückt wurde, bringt immer Lebensfreude und vielleicht auch Offenheit in anderen Bereichen. DS, Fetisch, SM, Bondage, hemmungsloser Sex, das alles kann Lust und damit Lebensfreude schenken. Der einzige Bereich, der wirklich positive Einflüsse auf den Charakter eines Menschen nehmen kann, ist jedoch jener der Disziplin.

Kann Disziplin vielleicht gar Freiheit bedeuten? Disziplin schafft es, dass man sich ganz auf ein Ziel fokussieren kann, dies ist durchaus eine Art Freiheit. Ebenso ist eine hohe Impulskontrolle eine Freiheit, denn so obliegt die Handlung ganz der eigenen Ratio.

Alter Ansatz
Für jene, für die Disziplin aus Zwang und Angst vor Sanktionen besteht, für die ist der devote Part ein Objekt, welches geformt werden muss. Dem Ausbilder/Führenden obliegt es primär, die Disziplin aufrechtzuerhalten. Disziplin wird hierbei erzwungen und es wird weniger auf Einsicht gesetzt, in dem Fall wäre der devote Part wirklich wieder der Passive.

 

Jeder muss für sich selbst entscheiden, welche Art der Disziplin für ihn die richtige ist.

 

Beispiele
Disziplin bedeutet Regeln zu befolgen, also zum Beispiel seinem Urtrieb (Flucht, Vermeidung etc.) oder auch seinen eigenen Wünschen (Unlust, Freiheiten) zu widerstehen und sich bewusst gegen diesen ersten Impuls zu entscheiden. Der Unterschied zwischen einem Impuls und einem Wunsch ist der Auslöser, die Dauer und die Intensität. Wünsche sind ein Begehren, und damit in der Regel dauerhafter Natur, ein Impuls hingegen ist eine direkte Reaktion auf eine drastische Veränderung der Lage und damit ein spontaner innerer Drang, etwas zu tun oder auch zu unterlassen.

Impulskontrolle
Dom befiehlt seiner Sub still zu stehen, während er sie bestraft. Die Sub erfährt eine Strafe, also etwas, auf das ihr Körper und Geist häufig mit dem Befehl „Flucht“ reagieren wird. Wenn sie eben nicht fixiert ist, wäre ihr das auch grundsätzlich möglich. Ein anderes Beispiel wäre, wenn es bei den beiden die Regel geben würde, Sub muss immer das Sperma des Doms schlucken. Dom lässt sich also nach einer durchzechten Nacht mit viel Alkohol und gewürztem Essen einen blasen, kommt im Mund der Sub und das Sperma schmeckt nur eklig, ihr Körper wird ihr sagen „spuck es aus“, entscheidet sie sich nun jedoch dagegen und schluckt es dennoch, ist dies Disziplin.

Wunschkontrolle
Die Wunschkontrolle ist schwieriger, häufig sind Wünsche auch Ausdruck von Impulsen und das macht die Abgrenzung alles andere als leicht. Der Dom wünscht, mit Herr angesprochen zu werden, eigentlich findet Sub das ziemlich doof, sie akzeptiert aber seinen Wunsch und spricht in fortan mit Herr an. Sub hätte gerne einen Dreier mit einem zweiten Mann, Dom einen Dreier mit einer zweiten Frau. Unterdrückt Sub ihren Wunsch nach dem zweiten Mann, ist dies eine Form der Disziplin, umso mehr wäre es Disziplin, wenn sie ihm seinen Wunsch erfüllt. In der Regel sind Beziehungen auf einen Ausgleich angelegt, wenn ein Partner also einen Dreier mit einem Geschlecht seiner Wahl hat, wäre die logische Konsequenz, dass auch der andere Partner einen solchen mit einer Person seiner Wahl haben dürfte.

 

Grenzen
Wer nun meint, Disziplin wäre das perfekte Argument um Sub ein Verhalten aufzudrängen welches ihr widerstrebt, liegt falsch. Ich habe anfangs die Frage aufgeworfen, ob auch ein Dom diszipliniert sein muss und möchte dies nun konkretisieren: Machtausübung und Machtmissbrauch trennt nur ein sehr schmaler Grat. Etwas, das viel Selbstdisziplin von dem dominanten Part verlangt, ist der sinnvolle Umgang mit seiner Macht. Was sind meine eigenen Bedürfnisse und was sind die Grenzen des Partners, wäre hierbei eine wichtige Kontrollfrage? Geht die Bedürfniserfüllung über die Grenzen hinweg, so wird die Partnerschaft leiden und für die Partnerschaft tragen Dom und Sub mindestens den gleichen Anteil an Verantwortung.

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